Zug nach Washington
TAG 77: 04/29/15, 6:56 AM
DAS HOSTEL, DAS KEINES WAR
Wegen der Kälte und mangels ausreichenden Schutz vor derselben wollten wir zwei Nächte in Front Royal verbringen, um uns ggf kältetechnisch upzugraden. Leider war Lisas und Scotts Hostel ausgebucht, sie versprachen uns jedoch eine Alternative: Sharon. Diese sollte uns spätestens um 18:00 Uhr abholen, vergaß dies aber. Während wir, Entschuldigungen murmelnd, vollends warm bekleidet im Ferienhaus warteten, während die Feriengäste schon ihre Koffer ein- und auspackten, entfuhr Sharon „I screwed that up!“ am Hörer. Nachdem wir dann schließlich spät in Sharons Haus ankamen, machte der leichte Unmut übermäßiger Begeisterung Platz: Wir waren im Paradies! Traumhaft gelegen, boten Sharon und ihr z.Zt. abwesender Mann ein Zimmer in ihrem Haus kostenlos Hikern an. Ausgestattet mit Dusche, Fernseher, Couch etc. war es außerdem sauberer als viele andere Hostels, die wir gesehen hatten. Sharon entpuppte sich als liebenswerte, weit gereiste, leicht chaotische, ältere Dame, die nebenbei einen Shuttleservice organisierte und ihre Schlafgelegenheit nur nach Lust und Laune offerierte. Obwohl sie ihre Gäste eigentlich nicht mehr bekochte, weswegen wie uns zuvor mit allerlei Lebensmitteln eingedeckt hatten, setzte sie uns von selbstgekochter Suppe bis Apfelkuchen stets weiteres Essen vor – das Frühstück war da nur eine selbstverständliche Nebensächlichkeit. Ihr Mann war im Übrigen nicht nur Vorsitzender des PATC gewesen, welcher einer der zahlreichen und größten Lokalwanderclubs ist, sondern auch ein höheres Tier bei der Airforce. Sharon erzählte uns unterhaltsam und begeistert von ihrem Leben in der Türkei, Deutschland und Japan, wohin sie ihren Mann begleitet hatte. Ihr Haus bzw. ihre Villa war japanisch eingerichtet, alles gespickt mit Andenken von ihren Reisen. Schweren Herzens verließen wir ihr Haus am nächsten Tag und machten uns schwankend unter unseren prall gefüllten Rucksäcken und unter dem Einfluss eines dritten „Essenskomas“ innerhalb einer Woche (hatten wir bei Sharon quasi durchgegessen!) auf den Weg zum übernächsten Shelter in ca. 11 Meilen. Dort wurde uns von einem Sectionhiker die Möglichkeit nahe gelegt, von Harpers Ferry aus den Pendlerzug zu nehmen und nach Washington zu fahren. Warum eigentlich nicht?
Doch vor dem Großstadtdschungel sollten noch zwei harte Tage im richtigen auf uns warten. Der sogenannte „Rollercoaster“ konnte uns steigungsmäßig nur ein müdes Lächeln abringen, malträtierte jedoch unsere Knie und Fußsohlen. Dabei überquerten wir noch kurz vor Harpers Ferry mit West Virginia („Wild, Wonderful“) unsere vierte Staatengrenze, John Denvers Zeilen noch im Ohre klingend. West Virginia wird ein kurzes Zwischenspiel bleiben, denn direkt hinter Harpers Ferry winkt schon Maryland.
Zug nach Harpers Ferry
SELBIGER: 6:29 PM
WAS HINKT DENN
Man gewöhnt sich zwar schnell ans Wandern, kommt aber auch mindestens genauso schnell wieder raus. Im sonnigen D.C., zwischen lärmenden Autos, flanierenden Passanten und duftenden Hot Dog-Ständen wirkte der Trail weit mehr als noch nicht mal 24 Stunden entfernt. Den Pendlerzug von Harpers Ferry aus zu nehmen ist nicht die schlechteste Möglichkeit sich ein Bild vom Regierungssitz der USA zu machen. Für relativ kleines Geld erspart man sich den Stress von Parkplatz und Stau, ist dafür aber an strikte Zeiten gekoppelt. Mit 18:20 haben wir jetzt den letzten Zug erwischt, sind nach rund zehn Stunden hartem Asphalt aber mindestens so müde wie an einem üblichen Wandertag. Dank Wanderhose, Crocs und allgemeiner Erscheinung fühlten wir uns ein wenig underdressed, denn wenn New York Köln ist, wäre Washington Düsseldorf. An jeder Ecke prahlen nicht nur Monumente von ehemaligen Präsidenten sondern auch pathetische Regierungsbauten im Stile des alten Rom. Absolute empfehlenswert ist „Smithsonian“, ein Gebiet mit verschiedenen Sehenswürdigkeiten und Museen im Herzen Washingtons – und eintrittsfrei. Da die Museen erst ab 10 Uhr ihre Pforten öffneten, arbeiteten wir zuvor die Monumente und Gebäude ab: Capitol, Washington-Monument und Lincoln-Memorial, anbei der Platz, wo Martin Luther King seine berühmte Rede hielt, und natürlich das Weiße Haus. Da man alleine für die Museen zwei volle Tage veranschlagen müsste, sahen wir nur Ausschnitte aus der Art Gallery, dem Luftfahrtmuseum, jenem für Indianische Geschichte und dem vergleichsweise kleinen Botanischen Garten. Optisch untermalt wurde unser Sightseeing- Hike von den vielen blühenden Bäumen und Blumen oder frisch ergrünten Bäumen. Hier war der Frühling schon deutlich aktiver gewesen.
Morgen steht unsere Registrierung beim ATC an, ein Date mit dem Outfitter und die Rückgabe der geliehenen Decken und das Weiterschicken unserer Maildrop. Wir hoffen trotzdem, noch vor den angekündigten Gewittern das 11 Meilen entfernte Shelter zu erreichen.